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Wende im Prozess gegen Y. aus RW-Altstadt: Anklage und Verteidigung verständigen sich – auf eine Haftstrafe

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Wende im Prozess gegen den mutmaßlichen Unruhestifter aus der Rottweiler Altstadt: Am Dienstag, dem vierten Tag in einem von ihm angestrengten Berufungsprozess, wurde bekannt, dass sein Verteidiger und der Ankläger seitens der Staatsanwaltschaft intensiv miteinander verhandeln – mit dem Ziel einer Verständigung. Das Ende des Verfahrens ist, wenn das klappt, nur noch ein juristisches Prozedere – wenngleich ein diffiziles. Eines aber steht schon fest: Y. wird in Haft bleiben müssen. Beitrag um 15.10 Uhr aktualisiert.

Diesen zweitletzten Verhandlungstag im Berufungsverfahren vor dem Rottweiler Landgericht managt bislang der junge Staatsanwalt. In Gesprächen, die vergangene Woche bereits auf seine Veranlassung hin zwischen ihm und dem Verteidiger von Y. begonnen haben, konnten sich die Parteien auf – nicht juristisch ausgedrückt – ein schnelles Ende einigen. Ein schnelles Ende nicht nur dieses Berufungsprozesses, sondern wohl aller noch anstehenden Berufungsverfahren, die Y. angestrengt hat. Wie mehrfach berichtet, wird gegen den heute 52-Jährigen aus der Rottweiler Altstadt verhandelt, weil er wiederholt seine Umwelt massiv traktiert, beleidigt, eingeschüchtert und genervt, zudem für zig Polizei- und Feuerwehreinsätze gesorgt und dann Beamte und Einsatzkräfte angegangen haben soll.

Das laufende Berufungsverfahren gegen ein amtsgerichtliches Hafturteil war anfangs nicht etwa aufs Strafmaß beschränkt worden, was dem Altstädter möglich gewesen wäre. Indes wollte er alles noch einmal durchgekaut wissen, wollte sich als unter Medikamenteneinfluss stehend und dadurch unzurechnungsfähig darstellen oder insgesamt unschuldig und von allen verfolgt. Und nun doch: Es gab eine Verständigung zwischen den Prozessgegnern, zwischen Anklage und Verteidigung. Angeregt vom Staatsanwalt, mit Rückendeckung dessen Behörde, und mit dem Ziel, die Vielzahl der Verfahren gegen Y. endlich abzuschließen. Einen Strich darunter zu bekommen, eine Strafe zu verhängen, die Altfälle zusammenzufassen, alle anhängigen Berufungs- und Strafverfahren. Wohlgemerkt: die alten, nicht die künftigen. Das wird aber dennoch notwendig sein, weil es den Zeugen merklich immer schwerer fällt, sich an den jeweiligen zur Debatte, zur Verhandlung stehenden Fall zu erinnern. Bei der schieren Zahl der Fälle von Beleidigung, Bedrohung und so weiter.

Das juristische Prozedere

„Verfahrensrechtlich ist das nicht einfach“, so der Vorsitzende Richter am Dienstag allerdings. Y.s anhängige Berufungen, drei an der Zahl, kann er nach Darstellung des Strafrichters nicht einfach zurücknehmen, da die ursprünglichen Urteile sonst rechtskräftig werden. Der juristische, ihm aber offenstehende Weg, den dann der Staatsanwalt aufzeigte: Alle Bewährungsverfahren könnten auf den heutigen Prozesstag terminiert und daher noch heute aufgerufen werden. Y. solle sich dann in seinen Berufungen jeweils auf die Rechtsfolgen beschränken, sodass nichts mehr neu verhandelt werden muss, das Tatgeschehen als erwiesen angesehen werden kann. Mit der Ausnahme, dass die Verfahren wegen vermeintlicher Körperverletzungen aus dem Jahr 2023 durch Anspucken etwa von Feuerwehrleuten eingestellt werden. Der Strafrichter sieht den Tatbestand der Körperverletzung nicht als erfüllt an, wertet sie als weitere Beleidigungen, weil die Angespuckten sonst mehr und intensiveren Ekel hätten empfinden müssen, als sie berichteten. Außerdem fällt die Strafe, die der Mann wegen dieser Taten alleine zu erwarten hat, neben all den anderen zur Verurteilung anstehenden, „nicht beträchtlich ins Gewicht“, so der Richter.

Diesen ersten Schritt erledigte die Kammer noch am Dienstagvormittag, sie nahm Y. die (recht kleine) Last der angeklagten Körperverletzungen durch Anspucken von den Schultern. Damit können die übrigen Fälle von Beleidigungen und allem anderen mit einem Urteil erledigt werden. Einem, das Y. im Gefängnis belässt, wie auch am Dienstagmorgen klar wurde. Der Korridor des ihm nun drohenden Strafmaßes ist eng: Er bewegt sich zwischen zwei Jahren, zwei Monaten und zwei Jahren, elf Monaten, so die Vereinbarung zwischen Anklage und Verteidigung. Damit definitiv über der Grenze, bis zu der die Strafe noch zu einer Bewährung ausgesetzt werden kann.

Und so läuft das juristische Prozedere: Drei Verfahren wurden mit Beschluss des Landgerichts bereits am Dienstag zu einem verbunden. So das laufende Berufungsverfahren und zwei weitere, die noch nicht rechtskräftig sind und, verbunden nun, mit einem Urteil erledigt werden können.

Um bald ein Urteil über die miteinander verbundenen Fälle sprechen zu können, mussten ihre juristischen Tatsachen in die laufende Verhandlung eingeführt werden. Deshalb verlas der Richter die Urteilstenore auszugsweise – allein das eine Sache von fast zwei Stunden Dauer. Da gab es etwa zunächst einen Strafbefehl des Amtsgerichts Rottweil auf Antrag der Staatsanwaltschaft von 2020, folgend einen Einspruch des Verurteilten, dann ein Urteil wegen Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Nachstellungen. Diese Taten führten zu fünf Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung.

Schon 2020 galt Y. demnach als einer, der durch Geldstrafen nicht einzuschüchtern sei. Es setzte also bereits eine erste, noch zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe. Doch er bewährte sich augenscheinlich nicht. Für juristische Feinschmecker: dieses eine Verfahren ist später im Rahmen einer Berufung verbunden worden mit einem weiteren, das zu einer Geldstrafe führte. Um das nun, Jahre später, nachvollziehen zu können, musste der Vorsitzende Richter am Landgericht am Dienstag intensiv durch die Akten kruschteln. Und konnte verlesen: In dem zweiten Verfahren ging es um Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz. Er hatte dem Urteil zufolge eine Frau wiederholt, insgesamt 36 Mal, teilweise minütlich, angerufen, obwohl sie einen gerichtlichen Beschluss des Kontaktverbots erwirkt hatte. Und er soll mehrfach das Fahrzeug einer Nachbarin beschädigt haben, sodass ihr insgesamt ein Schaden von insgesamt 2400 Euro entstand.

Auch ein zweites Verfahren, das nun verbunden wurde, ist eines, zu dem bereits zuvor zahlreiche weitere hinzuverbunden wurden. Es urteilt zigfache Beleidigungen von Nachbarn und Polizeibeamten, Sachbeschädigungen wie abgestochene Autoreifen, mehrmaligen Notrufmissbrauch – zigmal etwa, um einfach mal „Kuckuck“ zu sagen -, Bedrohungen, Störung der Totenruhe, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzungen ab. Knapp 90 Fälle. Das ergab damals eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten – hier will die Staatsanwaltschaft eine längere, die Verteidigung eine geringere Haftstrafe. Mehr über den Prozess hier: https://www.nrwz.de/rottweil/er-gibt-keine-ruhe/448299 Damals wurde dem Mann eine schwere Persönlichkeitsstörung attestiert.

Nunmehr geht es im laufenden Prozess eben darum, unter all das einen Stich zu machen. „Ist dann alles erledigt“, will Y. vom Vorsitzenden Richter wissen, unterstreicht das mit einer energischen Basta-Bewegung. Ja, so die Antwort.

Die Urteilsverkündung soll am Donnerstag erfolgen.

„Sperrt mich ein, dann habt ihr eure Ruhe vor mir“

Y. erschien am Dienstag wieder in seinem Prozessoutfit: eigentlich dreiteiliger Anzug, aber ohne Jackett, die gestreifte Krawatte vom ersten Tag. Bleich ist er im Gesicht, Gefängnisteint. Die Haft hinterlässt Spuren. „Neun Quadratmeter und man ist krank“, schilderte er seine momentane Lebenssituation zuletzt bei Gericht. Ihn in Untersuchungshaft zu stecken – „ob das sachdienlich war, sei dahingestellt“, sagte er weiter. „Man hätte mich besser gleich in eine Psychiatrie getan. Ich wäre sehr froh, ich wäre in der Psychiatrie.“ Er werde im Gefängnis gemobbt und gepiesackt von Beamten, ergänzte Y., das Mitleid im Saal schien sich aber in engen Grenzen zu bewegen. „Vielleicht ist es Teil Ihres Krankheitsbildes, dass Sie überempfindlich sind“, sagte ihm freundlich der Richter. Ohnehin ist der Strafrichter nicht um Antworten verlegen. Auf die Aussage Y.s, er sei krank, lautete die Antwort jüngst: „Das streitet keiner ab.“

Einmal sagte Y. im Prozess schon vorausschauend: „Sperrt mich ein, dann habt ihr eure Ruhe vor mir.“ Diese Ruhe, die herrscht seit seiner Inhaftierung tatsächlich in der Rottweiler Altstadt.

Zeuginnen und Zeugen, die am Dienstag hätten aussagen sollen, mussten nur noch vor dem Richter erscheinen, um entlassen zu werden und dürften erleichtert gewesen sein. Der weitere Verlauf sollte ein rein juristisches Prozedere sein, wenn Y., wie angekündigt, mitmacht. Ein Urteil könnte bereits übermorgen gesprochen werden. Dann ist für den 52-Jährigen aber noch nicht Schluss mit den Besuchen in Fußfesseln und bewacht von Justizbeamten im Rottweiler Gerichtsgebäude. Kommende Woche geht es mit einer ausgeuferten Bußgeldsache weiter vor einer Strafgerichtsabteilung des Amtsgerichts: Verstoß gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz, lautet der Vorwurf. Hier geht es um angezündeten Müll in kreiseigenen Mülltonnen. Da dabei nicht etwa eine Sache, fremdes Eigentum, beschädigt wurde, sondern einfach Müll, wurde hier ein Bußgeld-, kein Strafverfahren eingeleitet.

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Peter Arnegger (gg)

… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung. 2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ. Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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